Sonntag, 20. Februar 2011

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Es ist der 18.Feb., gegen 7Uhr abends, und draussen kracht`s und hupt`s und es scheppert blechstimmig von einer Moschee herunter.




Und dies mehr als üblich, denn heute ist Freitag, also Sonntag hier. Es ist wie 1.August, italienische Hochzeit und Sirenenprobealarm.
Ich sitze in meinem rolling hostel auf dem zentralen Parkplatz der Stadt, rundherum befinden sich Bazar, Ramsch- und nützliche Läden, Restaurants (mir am nächsten der McDonalds), die Bank of Jordan und eben ein paar Allah-Ausrufstellen. Der Parkplatz ist oder dient auch als Park, wo die Leute in Gruppen (Familien oder Frauen oder Männer) auf dem Trottoirrand sitzen und picknicken. Mit kleinem Feuerchen zum Teil, um das obligate Teelein zu kochen oder die Wasserpfeife am Rauchen zu halten. Einer hat den halben Nachmittag hinter meinem Wohnanhänger auf und unter farbigen Decken geschlafen. Und nicht zu vergessen: Die öffentlichen Toiletten, grad über der Strasse. Ein alter Mann schaut Tag und Nacht zu ihnen, schläft auch auf ein paar Kartons davor, und Stammgäste werden von ihm auch mal zum Tee eingeladen (viel zu süss, leider).
Aqaba heisst die Stadt. Es ist die südlichste Stadt Jordaniens, wo das Land etwa 40km Küste am Roten Meer besitzt. Auf Sichtweite gegenüber liegt Israel. Nachts sieht man übers Meer ein anderes Meer, nämlich das der Lichter vom israelischen Eilat. Auf der hiesigen Seite abwärts sind es etwa 25km bis zur Saudi-Arabischen Grenze. Dabei fasziniert mich weniger die Nähe zu Mekka als die Wärme, die hier unten bereits herrscht. 25° mindestens.
Dies habe ich mir jedoch echt verdienen und erschlottern müssen auf dem Weg über den Balkan, die Türkei und Syrien. Noch in der Türkei bei Ankara lag Schnee, und im Anhänger hatte es -5° zum Einschlafen. Für solche Fälle führt der erprobte Reisende zusätzlich eine Wolldecke der Schweizer Armee mit, behält den Helly Hansen an u häbt dr Gring unger Dechi.
Beim stundenlangen Fahren hatte ich im Auto warm, und ich glaubte täglich, am Abend sei ich dann an einem wärmeren Ort… Ich weiss jetzt aber, wieviele Berge es im Balkan hat, dass der Nissan mit dem 2t-Anhänger aufwärts auch nur beschränkte Kräfte hat, wie – abwärts – überhitzte Bremsen riechen und wie doof Polizisten sein können. Nicht die von Jordanien. Die sind zum Fressen lieb. Die wollen vielleicht mal wissen, woher man kommt und selten noch einen Blick in den Anhänger werfen, dazu noch scheu „Heroin?“ fragen und einen dann mit einem herzlichen „Welcome to Jordan!“ verabschieden. 
Es waren zwei kroatische Cops, mit denen ich mich nicht gut verstehen wollte. Wer zahlt schon gerne 80Euro Busse für nichts? Die Ursache für meine nächtliche Begegnung mit ihnen war der Wind. Oder eigentlich mehr noch die Freiheitsdemonstrationen der Ägypter! Die hätten doch nach 30 Jahren Unterdrückung durch den Mubarak-Clan gut noch ein paar Wochen zuwarten können mit ihrem Ruf nach Freiheiten…
Eigentlich hatte ich ja eine Fähre gebucht von Venedig nach Syrien, um mir die Hinreise durch den winterlichen Balkan zu ersparen. Zwei Tage vor der Abfahrt erhielt ich die Nachricht, die Fähre falle wegen der Situation in Ägypten aus. (Die Linie fährt nämlich Ägypten – Syrien – Venedig.) Also eine kleine Änderung des Reiseplans: Säuber abefreese! 4000km bis nach Syrien.
In Italien war`s doch schon deutlich wärmer. An den Raststätten wie gewohnt vorzüglicher Espresso, „lustige“ Italiener mit ihren Sonnenbrillen in den Haaren und eine grosse Auswahl an Salami. Dann Slowenien, dann der Küste Kroatiens entlang. Und hier schlug sie zu, die Gewalt des Windes. Ein Fressen für waghalsige Surfer, aber mühsam für Ross und Wagen. Gegen Mitternacht hielt ich in einer Ortschaft an. Aber nicht nur ich, sondern auch ein Streifenwagen der Polici neben mir.  Ausweise. Woher ich denn komme. Ob ich nicht gesehen habe, dass die Strasse weiter nördlich wegen des Windes mit einer Barriere gesperrt gewesen sei? (Müsste einem ja eigentlich aufgefallen sein…) Konsequenz: Busse. Nein, zahle ich nicht, da war keine Sperre. Hahnenkampf: Du zahlst! Nein, ich zahle nicht! Also fuhren die zwei davon. Mit meinen Ausweisen! Ruhig bleiben, gegenüber ist die Bar noch offen. Ein paar Kaffees an der Wärme. Zurück zum Auto. Und wer kommt da? Zahlst du jetzt? Nein, ich habe kein Signal missachtet, da war nichts. Ich bin übrigens Rechtsanwalt und habe bereits mit der Schweiz telefoniert. Ausweise mit verächtlichem Blick zurück. Ich ziehe mich zum Schlafen unter meine Swiss Army-Wolldecke zurück.
In diesem Kaff gab es tatsächlich eine Sperre für die Küstenstrasse, so dass ich am Morgen ins Landesinnere fuhr. Und ab hier gab`s Berge, Schnee und schlechte Strassen. Irgendwann war ich dann in Dubrovnik, wieder an der Küste. Weiter ging es durch Montenegro, dann in der Nacht durch Albanien, am frühen Morgen durch Mazedonien und während des Tages durchs nördliche Griechen-land an die türkische Grenze. Chli viu am Stück. Zur Belohnung Spaghetti Bolognese in einer griechischen Beiz und dann 12 Stunden Schlaf.
Die Türken waren unkompliziert beim Grenzübertritt, türkischer war es dann bei Istanbul auf der Autobahnumfahrung. Und dann eben saukalt durch Anatolien.
Noch „unkomplizierter“ waren dann die syrischen Grenzbeamten. Ich wählte bewusst die Nacht für den Grenzübertritt, weil ich annahm, es sei dann nicht so hektisch. Richtig gedacht! Sie schliefen nämlich hinter den Schaltern oder schwatzten und lachten zusammen. Auch ich durfte neben zwei Pullover-Zöllnern auf einem alten, quietschenden Eisenbett mit dünner, schmuddeliger Matratze Platz nehmen und mit ihnen, so gut es sprachlich ging, herumflachsen. Nur eben: „Entschuldigen Sie, wissen Sie zufällig, wie ich hier über die Grenze komme…?“ „Oder bin ich hier an der Stelle für sozial-integrative Aufnahme einreisewilliger Ausländer?“ „Darf ich schnell meine Matratze holen gehen?“ „Hätten Sie gerne ein bisschen Schweizer Schokolade zu Ihrer Wasserpfeife?“ Mögliche Sätze, die sich aber nicht im Touristensprachführer befinden. (Eventuell: „Tut mir leid, ich bin am Morgen mit dem Friseur verabredet.“) Nein, arbeiten wollten sie nicht. Also tat ich es, der Schweizer. Manchmal kam nämlich jemand in unsere kahle Zelle (Eisenbett, alter Tisch, Plasticstuhl, Gasofen – ausser Betrieb), und schmiss ein Geldnötli auf den Tisch. Der Schweizer hatte bemerkt, dass unter dem Tisch ein kleiner Korpus stand, dessen oberste Schublade halb offen war und Geld enthielt,  hineinge- schmissene Geldscheinchen. Also nahm ich jeweils das Nötli vom Tisch und versorgte es im Schub-lädli. Ich war voll integriert! Der Typ am unteren Bettende beugte sich jeweils über das riesige Buch, das geöffnet auf dem Tisch lag und kritzelte ein paar Hieroglyphen in die Kolonnen. Grenz-Treuhand-Büro Ahmed und Lehner.
Dies war also das erste „Büro“, es folgten weitere, jeweils mit ihrer besonderen Atmosphäre, solche, die bei uns als Gefängniszellen durchfallen würden und solche „Wetten, dass ich in zwei Stunden eine Büroausstattung samt Polstergruppe für 200 Stutz aus dem Brockenhaus bringe!“ Es gab auch eine Schalterhalle, wie vor 50 Jahren nach dem Reaktorunfall verlassen, alles steht noch und doch ist nichts mehr da, der Wind weht durch offene Türen herein. Hinter einem Schalter, bei dem ich unbedingt einen Stempel holen musste, hatte sich der „Beamte“ tatsächlich eines dieser Eisengestell-betten hingestellt und war friedlich am Dösen. „Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit, aber ich bin auf 10Uhr in Damaskus beim Friseur bestellt.“ Er liess sich nicht aufwecken. Aber Allah gab mir den Stempel. Der einzige Unfreundliche, mit dem ich zu tun hatte, zitierte mich barsch an seinen Schalter, stellte meine bisher eingeholten Formulare und Zettel in Frage, füllte seine Formulare aus, stempelte sie ab, unterschrieb sie, zerriss sie und warf sie neben sich in einen Behälter. Voilà. Ja, das war`s, ich durfte weiter.
Zuletzt, wenn ich alles durchlaufen und alle Papiere habe, müsse ich dann zum Boss, um alles vorzu-legen und den Stempel der Stempel zu erhalten. Nur: Da meldete sich niemand auf mein Klopfen an seiner Tür. Inzwischen hatte sich mir aber ein „Bewährungshelfer“ an die Fersen geheftet. Plötzlich stand er jeweils da, wie das Rumpelstilzchen im Märchen. Er hatte auch dieses konspirative Auftreten à la: „Ich helfe dir gern, du bist mir ausgeliefert.“ Er redete schnell und schlecht Englisch, immer im Flüsterton, und schaute dabei gehetzt um sich, wie als ob uns niemand zusammen sehen dürfte. „You know, this is Syria, very complicated.“ „Maybe the boss is sleeping, he don`t like wake up, maybe he is angry,  maybe he is in the mosq, maybe 15 minutes he is here, maybe he is home. But you need stamp. Don`t say him I help you. Don`t say you give other money for me.” Dazwischen musste er sich immer mal wieder an den Hosenladen greifen, um sein Schwänzchen zurechtzuzupfen. 
Allah half wieder, wohl mehr als das Rumpelstilzchen. Nach drei Stunden hatte ich alles beisammen, wurde von den Kollegen des ersten Büros, vor dem das Auto stand, verabschiedet, und vor mir öffnete sich das eiserne Tor!
Nun, ein Buch von Kafka kostet 15 Franken, aber ich hatte das ganze absurde Theater live und war Zuschauer und Akteur zugleich. Ist doch ein paar Dollar wert, oder nicht?
Da dieses Grenzgebiet in den Bergen liegt, war es kalt im ersten syrischen Kaff, in dem ich einen Ess- und Schlafstopp einlegte. Obwohl mitten in der Nacht, herrschte reger Betrieb, Lastwagen kamen und gingen, und die Läden und Beizli hatten alle geöffnet. Ich liess mir Lammfleisch, Humus (Kicher-erbsenmus), Gurken- und Tomatensalat und Fladenbrot schmecken. Und dann „Tschou zäme!“

Am nächsten Tag war Damaskus schnell erreicht. Hier gab`s einen Halt an einer Ausfahrtstrasse bei einem Shopping Center. (mit Freunden, sie St.Gallerin, er Syrer, vereinbarter Ort zur Übergabe der für sie aus der CH  transportierten Sachen). Eine moderne Einkaufsmall mit Modegeschäften, Restaurants, Rolltreppen und allem Konsumglanz „wie bei uns“, jedoch mit zwei Unterschieden: Neben den Toiletten in der 3. Etage gab es auch zwei Gebetsräume (auch hier das „Männer-“ und „Frauen-“Schild). „Sorry, ich muss mal schnell“ geht ja dann von ganz verschiedenen Bedürfnissen aus… Der andere Unterschied: Rauchen überall erlaubt. 
Dann weiter, es schiffte eh, Richtung Süden und jordanische Grenze. Heute Abend würde ich eine Woche unterwegs sein, me, my pick-up-car and my American trailer. Manchmal hatten mir die Pink Floyd etwas Gesellschaft geleistet. Vor allem zum Fahren in der Nacht passen sie gut. Zum Beispiel empfehlenswert zum Durchfahren von Albanien by night. Dunkelheit, ein bisschen Strasse, ein bisschen Lichter und dazu dieses getragene Gleiten durch ihren Sound intensiviert. 
Auch für die jordanische Grenze setzte ich nochmals auf die gleiche Taktik: Crossing at night. Das Erledigen der Grenzformalitäten lief fast enttäuschend geschmeidig ab. Und hier bekam ich zum ersten Mal zu hören, was mir inzwischen viele Male gesagt wurde: „Welcome to Jordan!“ Mit wem auch immer man zu tun hat, auf meine Antwort zum „Where are you from?“ folgt mit Sicherheit das freundliche, lächelnde und leicht stolze „You`re welcome to Jordan!“. 
Man ist tatsächlich willkommen in Jordanien. Und zwar nicht in der Art, dass man dauernd angequatscht wird oder dass einem etwas angedreht werden will. Die Leute sind ganz einfach – lieb. Beduinen, Plantagenarbeiter, Kinder, Ladenbesitzer, Souvenirverkäufer, Polizisten, Strassenputzer, Schalterbeamte – alle sind freundlich und oft humorvoll. Ich habe bis jetzt noch keinen abweisenden und bauzigen, aber auch noch keinen mühsamen und aufdringlichen Menschen getroffen. Auch unter sich scheinen die Jordanier so zu sein. Man plaudert, man ruft sich etwas zu, man sitzt ruhig zusammen, man witzelt während des Arbeitens oder man nimmt einander hoch. Ausflüge mit der Familie oder mit Freunden sind wichtig, Autos hat man ja dazu, alte Toyotas oder neue 4x4-Karossen.
Für sie selber gilt wohl auch: „We`re welcome to Jordan!“
Also, Visum und Grenze locker geschafft und weiter nach Amman, wo ich Pascal am Flughafen abholen soll. Abgemacht als Richtziel war 8.2., 12Uhr. Wann huschte Herr Schweizer in die Arrival Hall? Um 11.50! Kaffee trinken an der Bar, sofort im Gespräch mit dem Waiter (Mischung zwischen Lausbub, John Travolta und Mick Jagger in jüngeren Jahren), er vermittelte mir gleich einen Airport-Angestellten, der 8 Jahre in der Deutschschweiz gearbeitet habe, dazwischen erschien Pascal – die Kafisandwich-Runde lief. Donald, der „8-Jahre-Schweizer“ fachsimpelte mit mir über St.Gallen als Stadt zum Ausgehen (er habe in Winterthur und Zürich gewohnt und gearbeitet, aber in den Ausgang sei er am liebsten nach Güllen gekommen – eben: „Welcome to St.Gallen!). Zweite Klammer: Haben ihn die picknickenden Menschen an den Trottoirrändern, die Plastikschuhverkäufer an den Strassen-ecken oder – realistischer – die Kepap-Stände angezogen? Anyway, kaum losgefahren, erhielt ich von ihm ein sms: „Hoi, bin ich die Donald. Hat mich mega gefreut das ich habe dich kenn gelernt. Wan hasch Zeit rufsch an.“  Zurück nach Amman ist er gekommen, weil seine Eltern jetzt über 70 sind und er der einzige Sohn ist.
Obwohl sogar der Airport herzlich war, zog es Pascal und mich ganz in den Süden. Wir wollten die Sonne und wir wollten sie voll. Bei Sonnenuntergang kamen wir in Aqaba an. Stadtzentrum – ein Orientierungsstopp – einer steht da – führt uns zum zentralen Parkplatz – quatscht noch ein bisschen – „You can sleep here, no problem“ – „Welcome to Jordan“ – und weg war er.
Morgenerwachen mit Sonne und Kafi, Pascal war schon Joggen und einiges einkaufen. Um das Rote Meer zu begrüssen, liess ich mir noch etwas Zeit, es wären doch etwa 2 Minuten gewesen zu Fuss… 
Aqaba ist voll easy, es hat und gibt alles. Einige Touristen auch, Exchange-Offices, Hotels, Banken, Internet-Cafés, jede Mende Bazarläden und sogar einen Massagesalon mit ganz lieben Chinesinnen haben wir entdeckt („All body massage, evlithing, my name Fifi, she Dada, make you happy!“).
Nun, wenn, dann eher Fifi, aber happy waren wir ja genug. Dazu trug auch Pascal bei, der von sich sagt, als Fussballer habe er gelernt zurückhaltend zu sein, der aber mir und den Einheimischen gegenüber eine ganz andere Seite zeigte und sehr offen war. Weschu, är isch ganz offna cho u het ume nid gnue ghäbe, der Friburger.  Good man!
Nach anderthalb Tagen ging der „Reisestress“ weiter. Pascal hatte ja nur eine Woche Zeit und sollte etwas sehen. Programm: Wadi Rum, Petra und Totes Meer.
Wadi Rum: Imposante Wüstenlandschaft, garniert mit riesigen Felsen. Wir zogen den Wohnanhänger soweit es ging an ein gigantisches Plätzli. Hier, meinst du, bist du wirklich allein. Am Abend kriegten wir aber Besuch, Scheinwerfer kamen direkt auf uns zu. „I see your caravan and I think I must tell somebody my story, but you will not believe me.” Ein richtiger Beduinenprinz, jung, schön und charmant. „My name is Mutlag, what`s your name?“ Und natürlich ein „You`re welcome to Jordan!“ Er führt Touristen in der Wüste herum und übernachtet mit ihnen dort. Seine Story war die Geschichte einer unmöglichen Liebe, sehr glaubhaft, richtig aus dem Leben gegriffen, wie sie Beduinen, Eskimos oder Europäern widerfährt. „I see she look at me and I look in her face and she smile but she don`t want to kiss she say kiss girl in other tent so I go in other tent and I lie with other girl also from Germany we kiss but I think of other first girl and I go back and she say yes love but only kiss but I don`t give a kiss only when I have love for this girl…” und zeigt auf sein gemartertes Herz. Und auf sein Handy, mit dem er der inzwischen heimgeflogenen Angebeteten ein sms ge-schrieben habe und stündlich auf eine Antwort warte. Wahrscheinlich wartet der Ärmste vergeblich auf ein „Welcome to Germany!“. Diskutiert hat er vor allem mit Pascal, den weisen Rat wollte er dann aber vom Herrn mit den grauen Haaren. Schade, habe ich nicht auch ein paar Doors-Songs dabei. „Love comes when you least expect it“.  Jim Morrison hätte vielleicht geholfen.
Am nächsten Tag sind wir zwei Buben mit dem Auto allein in der Gegend herum geoffroadet. Man könne sich gut an den Felsbergen orientieren, hatte uns Mutlag gesagt. Schön, den sollte man mal nach Tokio schicken und sagen, er könne sich an den Hochhäusern orientieren. Oder an den kurzen, weissen Beinen der Japanerinnen. But it was really  very eindrücklich. Gigantische Felsmöcken. Wäre etwas für unsere Alpsteinkletterer, anschliessend statt Bier in der Bolewees gäb`s Tee oder Kaffee mit Kardomon im Beduinenzelt. Und mit Glück ein deutsches Girl zum Verlieben… Oder wenigstens ein Kamel, die stehen vereinzelt mit stoischem Ausdruck bei den wenigen trockenen Grasbüscheln. „C`est la vie“, würden sie denken, aber sie denken wohl lieber nicht. 
Zurück vom Wüstenausflug („Braver Nissan!“ – säuft zwar mehr als ein Kamel, aber für 50 Rappen pro Liter geht das ja) kam es zum Frust des Super-League- und Ex-FCSG-Fussballers Pascal Jenny! Im Beduinen-Village eingangs Wadi Rum war die männliche Dorfjugend auf einem staubigen Platz am Fussballspielen. Füessball, wie är uf där ganzä Wält üsgetreit wird und dem Sepp Blatter schini netigä Stimmä igebrunge het. Pascal ging spontan zu den Jungs hin und wollte mitspielen. Nein, jetzt nicht, er solle sich aufs Mäuerchen setzen und aufs nächste Spiel warten! Lieber Pascal, „so ist Füessball!“. Aber das weisst du ja, spätestens seit Heinz Peischl…
Am Abend waren wir eingeladen im Gästezelt von Mutlags Familie. Das mit gekreuzten Beinen am Boden hocken war noch nie mein Ding, aber alles andere war wunderschön. Das Feuerchen am Brennen, die verschiedenen Krüge und Krüglein darauf und darum, welche immer wieder verschoben und umgegossen werden mussten um den richtigen Tee zu erhalten, mit reichlich Zucker natürlich, die Schwestern von Mutlag und seinem Bruder Suleyman, die auf Kommando brachten, was gewünscht war und auch das Essen nebenan zubereiteten, und dann, als Höhepunkt für mich, kam die Mutter. Sie grüsste nur kurz, setzte sich neben ihren Sohn, redete sonst nicht mit uns, aber sie war gekommen um uns auf ihrer Flöte etwas vorzuspielen. Ein einfaches Holzrohr, 20cm lang, einige Löcher drin – und daraus erklang die Melodie der Weite und der Ewigkeit. „Welcome to eternity“. Danach war sie aber noch mehr im Element mit lauteren Tönen, mit Tönen des Hier und Jetzt, als sie mit Suleyman über einen Nachbarstreit von heute debattierte. Es dauerte ziemlich lange, aber es musste besprochen werden und war jetzt in Ordnung, wie uns Suleyman nachher erklärte. Ursache des Streites war Abfall, den ein Nachbars-tribe auf ihrem Gebiet deponiert hatte. Ob ein Streit auch mal hart ausgehen könne? „Yes, sometime we fight, with the stick, look, this is my stick.” Und wenn`s ganz hoch komme, ziehe er das Schwert, das reiche dann eigentlich. „But when necessary I kill!“ War aber noch nie necessary. “Könntest du dir vorstellen, anderswo zu leben?” “No, I`m a beduin.”
Spät Abends fuhren wir noch los, um am Morgen bereits in den Bergen im berühmten Petra zu sein. A propos Fahren und Fahren bei Nacht: Natürlich gilt hier mehr „free-style“, aber alles hat seine Selbstverständlichkeit und Aufmerksamkeit und es ist kein Hetzen und Zurechtweisen zu spüren. Kein „Was-macht-denn-dieses-Arschloch?!“. These: Je gehetzter und fixierter man ist, desto mehr ver- bindliche Regeln und Gesetze will man. Und je lockerer und ausgeglichener man ist, desto mehr regelt es sich von selbst. Bei uns macht schon jeder Velofahrer das Narrenspiel mit, indem er sich einen doofen Helm aufsetzt. Als ich kürzlich in der Nacht bei einem Check-Point angehalten wurde, ging es ums „Welcome to Jordan!“, vom kaputten Abblendlicht hat der Typ nichts gesagt. Was mir am meisten Mühe macht auf den jordanischen Strassen, sind . . . die vielen, oft überraschenden Strassenschwellen zur Geschwindigkeitsreduktion. Bei welchem Quartierverein in der Schweiz haben die das abgeschaut? Gut, dass sie meistens, oft 500m zum Voraus, angesagt werden.
Auf der nächtlichen Fahrt nach Petra machte uns vielmehr die Wetterkapriole Nr.17 zu schaffen: Dickster Nebel, man sah kaum etwas. Anhalten und Übernachten auf einem Tankstellenareal. Am Morgen Kapriole Nr.18: Sonne, tiefblauer Himmel und ein verdammt kalter Wind. 
Petra: Weltkulturerbe, Weltwunder, Weltseintrittspreise. Vor Tausenden von Jahren von den Naba-täern in und zwischen die riesige Felslandschaft gehauen. Scho nid nüt. Weiter sei auf die einschlä-gige Literatur verwiesen. 
Richtig imponiert haben mir zwei „heutige Nabatäer“: Die Souvenirverkäuferin, die uns Tee offerierte und jedem zum Abschied eine kleine Kette schenkte („It`s camel bone!“) und wirklich kein Geld wollte. Der andere war ein Bauarbeiter, an dem ich beim Parkplatz vorbeilief. Er hatte soeben eine Orange fertig geschält, sah mich kommen, streckte mir ohne viel zu sagen die Hälfte davon zu und ass dann die andere. Zur Intensivierung wiederholen wir die Szene vor einem andern Hintergrund: Ein beim Bau des Verwaltungsgerichts in St.Gallen beschäftigter Arbeiter hat sich soeben für den Mittag beim Verkaufsstand vor der Migros eine Bratwurst gekauft. Er setzt sich gerade auf den Bierharrass, da kommt ein japanischer Tourist an ihm vorbei. Was tut er? – Antwort A: Er bemerkt den Japaner gar nicht. Antwort B: Er denkt: „Schon wieder so ein Scheissjapser.“ Antwort C: (Äbe nid!). 
Die letzte Etappe mit Pascal führte uns ans Tote Meer. Vom Wadi Araba her kommend, tut sich zuerst eine grosse Fläche auf, wo sesshafte Beduinen und ausländische Arbeiter (aus Ägypten, Pakistan und Sri Lanka) Tomaten ernten und auf Lastwagen laden. Gibt more money als in ihrem Land.  (Oder wie es mir ein ägyptischer Kellner hier in Aqaba sagte: „My country don`t need me, so I come here.“) Sonst ist es ums Tote Meer herum ziemlich kahl und tot. Bei einem Aussichtspunkt hoch oben auf einem dieser kahlen Felsen wurden wir zu einem unvergesslichen Tee eingeladen. Da waren vier Männer (Grossvater, Vater, Sohn und Onkel) daran, am Boden neben ihrem Auto einen Tee zu kochen. Okay, nichts Unübliches. Aussicht hatte man wegen des Hochnebels oder Dunstes oder herumgeblasenen Sandes keine und es begann immer ruppiger und kälter zu winden. Einsteigen und herunterfahren war nicht mehr möglich, denn die Einladung stand. Also standen wir fast eine Stunde lang mit diesen vier um das kleine Feuerchen herum, das bei diesem starken Wind mit den wenigen kleinen Ästchen und Kohlestücklein ganz lieb umsorgt sein wollte. Immer wieder musste es geschützt oder es musste hineingeblasen werden, immer wieder ein Steinchen verschoben werden, damit das Krüglein darauf nicht kippte. Das Teelein muss ja bei richtiger Prozedur auch umgeschüttet und mehrmals aufgekocht werden. Wie gerne hätte ich ein Bierchen aus dem Auto geholt… Dann endlich, wir waren ziemlich durchgefroren, war es soweit! Den Zuckergehalt schätzte ich als Diabe-tiker als zur Ausnahme noch tolerabel ein, aber das konnte ich vorerst gar nicht spüren, denn dieser Tee, der Sauhund, war sowas von heiss, unmöglich einfach schnell herunterzuleeren für meinen sen-siblen europäischen Mund, und der Hund, der verdammte, wollte trotz des kalten Windes nicht abkühlen. Kein Witz: Seither bin ich definitiv erkältet. Erkältet wegen dieses verfluchten heissen Tees. Zur vollständigen Information: Die vier sassen noch vor uns im Auto und sind abgefahren. Will dies Allah so? („Kochet am unwirtlichsten Ort der Welt den besten und heissesten Tee, gebt den Fremden davon zu trinken, und dann kehret mit eurem Toyota heim zu den Frauen.“ – Sure 007)  
 Am nördlichen Teil des Toten Meeres  versucht man unter dem Namen „Amman beach“ etwas Tourismus aufzubauen (Architektur à la „fertig zum Abreissen“). Irgendwo in den zerklüfteten Felsen entspringen heisse Quellen. Pascal hat sich da noch für den Heimflug sauber gemacht. 
U äbe, am very frühen Morgen am 16.2. ging sein Flugzeug. „Welcome to Swissra!“
Ich fuhr wieder zurück nach Aqaba, zuerst auf den bewährten Parkplatz, wo ich mal mit Schreiben begann, und inzwischen bin ich umgezogen, einige Kilometer weiter direkt an die beach, schreibe mit Aussicht aufs Meer und die ägyptische Küste. Es kommt mir schon ziemlich vertraut vor in und um diese Stadt, wo gibt`s was, gewisse Leute kennen mich schon und verzichten beim Grüssen aufs „Welcome …“, den Toiletman habe ich in einem Kiosk-Lädeli getroffen, er hat mich mit zugekniffenen Äuglein gefragt, ob ich Viagra kaufen komme (der ägyptische Verkäufer hat gerne übersetzt), und dann, als ein vorläufiges Highlight (ich bin ehrlich ein bisschen stolz), hat mir heute eine voll verschleierte Frau zugewinkt (durch Beziehungen kennen gelernt…), und wir sind zusammen durch die Strassen gezogen (zwar nur zwei und sehr kurze!). 
Und jetzt koche ich mir eine Rösti zum Znacht. Für mich allein.

                                                                                                                                                             20.02.11